Sonntag, 16. September 2012

Goetz


Der Hugendubel-Laden in der Kurve von der Tauentzienstraße zum Kurfürstendamm ist so was von weg, dass ich mir auf einmal nicht mehr sicher bin, ob er wirklich mal an der Stelle war, und ich mich bei dem Mann vergewissere, der eben um sein Kiosk herum gefegt hat und jetzt wieder reingeht. 
Entschuldigung! Kann ich Sie was fragen?
Wenn es schnell geht.
Hier war doch mal Hugendubel.
Ja, ist weg.
Seit?
März.
Danke - und Batsch! - zu die Tür. Das ist sie.


Blöd ist, dass ich mich jetzt nicht in die Lesekoje setzen kann, um in den neuen Roman von Rainald GoetzJohann Holtrop, reinzulesen, womit vielleicht schon klar gewesen wäre, mehr ist nicht nötig, mehr brauche ich nicht zu lesen als 30 Seiten quer. Aber es gefällt mir auch, so anschaulich zu erleben, wie ratzfatz das geht mit dem Wandel - technologisch, ökonomisch, kulturell. Bücher werden weiter gelesen, aber nicht mehr gehandelt in einem Supermarkt wie Hugendubel an dieser Stelle. Schade allerdings um die Einrichtung der Lesekoje. Jetzt muss ich warten, bis der Verbund der Öffentlichen Bibliotheken Berlins liefert. Auf Position 3 bei den Vormerkungen stehe ich. Wenn ich in der Lesekoje herausgefunden hätte, dass der Goetz-Roman das Schlaumeierbuch ist, das wir von ihm erwarten können und sonst gar nichts, hätte ich meine Vormerkung heute noch löschen können. So bleibt es möglich, dass Goetz der große erzählerische Wurf gelungen ist. Grundsätzlich möglich. Denn ein großer erzählerischer Wurf war schon sein erster Roman nicht. Irre war literarisch zurechtgemachte Autobiografie, und als er damals in Klagenfurt daraus las und sich danach die Stirn aufgeschlitzt hat, um zu bluten wie eine abgestochene Sau (aber keine Sorge, der blutende Clown ist Dr. med.), da hat er das auch deshalb gemacht, weil er damit als Preisträger disqualifiziert war, und so frei von dem Makel bleiben konnte, als doppelpromoviertes Wunderkind und bei regulärem Verfahren den Bachmannpreis nicht geschafft zu haben. Also nicht dumm dazustehen wie jetzt, mit dem Makel, es nicht in die engere Auswahl (Shortlist) von sechs Kandidaten für den Deutschen Buchpreis geschafft zu haben mit seinem neuen Roman. Was ihm recht geschieht. Denn was hat er sich auch diesem Wettbewerb gestellt, da er ihn letzten Endes verachten muss? Was hat er überhaupt einen Roman geschrieben, da er als Schriftgelehrter seines Formats weiß, dass das ernsthaft gar nicht mehr geht und dass es schreiberisch / erzählerisch Wichtigeres zu tun gibt für einen wie ihn, wenn auch nicht beim Suhrkamp Verlag. Was natürlich schade ist wegen der Vorschüsse und wegen der schönen alten BRD-Hochkultur. In Wahrheit verachtet er den Deutschen Buchpreis doch auch gar nicht. Und in Wahrheit hat er geglaubt, wenn noch einmal einer den großen gesellschafts- und zeitdiagnostischen Roman packt, dann er mit seinem Systemtheorie-Apparat, mit dem er rumzieht. Mit 58 Jahren immer noch nicht über sein Hörsaalerweckungerlebnis mit Niklas Luhmann hinweg gekommen, wie er von der Universität nie losgekommen ist (meine geliebte Ludwig-Maximilians-Universität). Rainald Goetz, der ewige Student des Literaturbetriebs. Aber niemand war besser als Blogger als er. Klage ist der wichtigste deutschsprachige literarische Text der Nullerjahre. Aber so sehen sie das bei Suhrkamp nicht. Ohne Roman bist du da nichts. Und irgendwann bist du ohne Verlag, weil sie es einfach nicht schnell genug kapiert haben. 


Da war mal Hugendubel.